Unsere Arbeit

In diesen Beiträgen beschreiben wir die verschiedenen Bereiche, die in den Oberbegriffen Wildnispädagogik und Naturverbindung zusammengefasst sind.  So entsteht ein genaueres Bild der Wildnisschulen Arbeit.

Die Kunst des Mentoring

Ursprüngliches Lernen und Lehren im Kontext der Wildnispädagogik

„Man kann einem Kind nichts wirklich Neues beibringen, sondern man muss es gewissermaßen an der Hand nehmen, muss es dort abholen, wo es ist, und muss in seiner Sprache und in einer für ihn verständlichen Weise gewissermaßen etwas Neues anbieten.“

Dr. Gerald Hüther
Jon Young

Jon Young, ein Mentor und Spurenleser mit über 35 Jahren Erfahrung und ein direkter Schüler von Tom Brown, jr nennt es „The Art of Mentoring“ und bezeichnet damit seine auf verschiedenen Kontinenten gesammelten Erkenntnisse zum Thema Lernen und Lernbegleitung. Es dreht sich dabei um wiederkehrende, kulturelle Elemente in indigenen Gemeinschaften, die Lernen und vor allem starke Naturverbundenheit ermöglichen. Unter Mentoring ist dabei eine Lernbegleitung zu verstehen, die auf einer langen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Lernenden und Lernbegleiter*in basiert. Dabei steht nicht die Wissensvermittlung des Experten an den Anfänger im Vordergrund, sondern die gemeinsame Lernreise, die die Begeisterung, das Tempo und die Interessen des Lernenden schätzt und achtet. Lernen findet aus Erfahrung statt, eingebunden in ein Netz aus Mentoren, die mittels Geschichten und ihrem Vorbild inspirierend wirken. Es braucht das Richten von Aufmerksamkeit , die Kunst des Fragenstellens, Begeisterung und eine persönliche und langfristige Lernbegleitung, um Mentoring zu ermöglichen. Grundsätzlich gilt es dabei zwei Formen zu unterscheiden: Erstens gibt es das persönliche Mentoring, welches 1:1 stattfindet und dem Lernenden hilft, neue Lernfelder zu entdecken, Herausforderungen angeboten zu bekommen und zu meistern. Zweitens spricht Jon Young z.B. vom Community Mentoring. Dabei dreht es sich um das Erschaffen einer Lernumgebung.

Leben in der Wildnis

Ich hatte das Glück ein Mal ein Jahr und ein Mal ein halbes Jahr in der nordamerikanischen Wildnis zu leben. Dabei wurde ich vom Wildnismentor Tamarack Song begleitet. Für ihn war das Lernen durch Erfahrung sehr wichtig und so ließ er uns viele Fehler machen und leitete uns nicht an oder unterrichte uns im klassischen Sinne. Er hielt sich mit Antworten zurück und ermöglichte ein direktes Lernen von und mit der Natur und dem Kreis von Menschen, die im Wald lebten. Das war oft auch frustrierend und langsam und heute hilft es mir gut abzuwägen, wann das Lernen durch meine Antworten behindert werden würde, weil es direkter erlernbar wäre. Es hat mich geprägt und beeinflusst auch meine Art des Unterrichtens. Gleichzeitig ist es mein Verständnis, dass früher und auch heute noch das Beobachten und Imitieren sehr starke Lernmethoden sind und es früher normal war andere bei Tätigkeiten zu beobachten, um sie zu lernen. In einem normalen Seminarsetting ist das nur teilweise möglich.

Es braucht die Gemeinschaft

Nach einigen Jahren der Lehre bei Jon Young , Mark Morey und Paul Raphael ging es auch immer mehr um die Frage, wie Lernen in Gemeinschaft integriert ist. Der Fokus ging weg von der Beziehung zwischen Mentor und Lernendem hin zu der Frage, wie eine Gesellschaft strukturiert sein kann, so dass es eine „unsichtbare Schule“ gibt. Communiy Mentoring nennt sich dieser Bereich und inspirierte mich dazu, Älteste, Onkel und Tanten in die Wildnisarbeit einzubeziehen. Heute versuche ich immer mehr zu schauen, wie verschiedene Menschen in die Lernerfahrung integriert werden können, so dass der übliche Fokus auf den Lehrer oder die Lehrerin geschmälert werden kann. Es wirkt sehr bereichernd wenn es verschiedene Vorbilder und Meinungen gibt und Lernende sich davon inspirieren lassen können.

Naturverbindung

„Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisse verwundert es übrigens nicht, dass die langfristige Naturverbundenheit eines Menschen mit dessen Glück zusammenhängt, wie eine Metaanalyse von 30 Studien mit insgesamt 8523 Personen ergab. Das Naturerlebnis bewirkt Glück, Zufriedenheit und Gesundheit. Im Hinblick auf unser Thema (Einsamkeit) ist jedoch von größter Bedeutung, dass sich das Naturerlebnis auch günstig auf den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft auswirkt. Menschen werden zu „besseren Menschen“ wenn sie sich in der Natur aufhalten; sie können nicht nur klarer und kreativer denken und sind besser gestimmt sowie langfristig gesünder, sondern sie verhalten sich sogar in moralischer Hinsicht menschlicher in dem Sinne, dass sie sich etwas weniger um sich selbst und etwas mehr um andere kümmern. In der Natur sind ihnen Werte wie Gemeinschaft und Verbundenheit wichtiger und materielle Werte unwichtiger. Dies hat zur Folge, dass es durch Naturerlebnis nachweislich zu einer Verminderung von Aggressivität, Gewalt und Kriminalität kommt. Warum ist das so?“ (Prof. Manfred Spitzer, Einsamkeit)

Manfred Spitzer, Einsamkeit

Unter Naturverbindung verstehen wir ein alle Sinne umfassendes In-Beziehung-Treten mit der natürlichen Umwelt. Im Gegensatz zu konservativer Umweltbildung geht es uns also hauptsächlich darum, dass Natur erfahren wird ohne einen kognitiven Bildungsauftrag leisten zu wollen. Das Ziel ist nicht Wissen anzuhäufen, sondern wie auch in menschlichen Beziehungen, gemeinsam, bedeutsame und lebendige Erfahrungen zu machen. Durch Sinnesschulung und Aufmerksamkeitstraining unterstützen wir andere dabei, die Natur immer bewußter zu erfahren und auch Nuancen, leise Geräuche und feinste Spuren wahrzunehmen. Durch immer mehr dieser intensiven Naturerfahrungen stärkt sich Stück für Stück die Beziehung zur Natur. Durch diese tief gefühlte Verbundenheit entsteht eine Einstellung des Hütens und Erhaltens der Natur gegenüber.

Seit vielen Jahren häufen sich die wissenschaftlichen Untersuchungen, die das Thema Naturerfahrung beleuchten. Neben den erwiesenen körperlichen Vorteilen von Naturerfahrung, die neuerdings bekannt geworden sind, hält Naturverbindung noch andere Wirkungen für uns bereit. Aufenthalte in der Natur wirken sich auch auf unseren emotionalen Zustand und auf unser Wertesystem positiv aus. Stressreleveante Anzeichen schächen im Wald und in der Natur ab und unser Sytsem beruhigt sich. Vielleicht weil wir in unser ursprüngliches Zuhause zurückkehren.

Einführung Wildnispädagogik

Lernen von primitiven Gesellschaften

Die Wildnispädagogik vereint ein großes Bündel an Wissen und Traditionen, welches ihre Grundlage in der ursprünglichen Lebensweise von naturnahen Kulturen hat. Der Mensch hat die meiste Zeit seiner Existenz als Jäger und Sammler den Erdball bewohnt und war so ganz natürlich in die Rhythmen des Waldes eingebunden. Er wurde ganz direkt von der Natur versorgt und lebte in Gemeinschaft. Diese Lebensweise erforderte ein unglaublich großes Wissen über die Erde, die Überlebenstechniken und traditionelles Handwerk. Dazu gehören Fertigkeiten wie die Kunst des Fährtenlesens, die Sprache der Vögel, das Wissen um heilbare und essbare Pflanzen, Ökologie und viele andere Techniken. Jede dieser Tätigkeiten schafft einen ganz direkten und sinnvollen Bezug zur Natur. In der Wildnispädagogik geht es darum, dieses alte Wissen in unseren modernen Alltag zu integrieren, um wieder einen bedeutsamen Kontakt mit der Mitwelt zu ermöglichen.

Native Lifeway oder die ursprüngliche Lebensweise ist auch Teil der Wildnispädagogik. Es beinhaltet auch das Wissen um soziale Aspekte des Zusammenlebens. Was braucht eine Gemeinschaft um gut zusammenleben zu können? Eine authentische und herzliche Kommunikation ist zum Beispiel für einen Clan von großer Bedeutung. Durch die Interdependenz ist das Wohlbefinden aller wichtig für das gute Funktionieren einer Gruppe. Dazu ist es auch wichtig Konflikte nachhaltig zu lösen und Entscheidung auf Konsensbasis zu treffen.Darüber hinaus geht es in der Wildnispädagogik auch um die Kunst des Mentorings. Es geht darum Lernen und Lehren auf ursprüngliche Art und Weise zu verstehen. Jäger- und Sammlerkulturen mussten gewährleisten, dass ihre Kinder das oben angesprochene große Bündel an Wissen und Erfahrungen lernten. Es war überlebenswichtig. Wie schafften das Kulturen ohne Schule, Noten und Zwang? Es gab eine unsichtbare Schule. Das war eine reiche und zum Mitmachen einladende enge Gemeinschaft voller Lehrer und Vorbilder, die Kinder und Jugendliche dazu einluden, aus Erfahrung zu lernen. Den Kindern wurde Lernen durch Mitmachen und Abschauen ermöglicht und sie wurden darin unterstützt ihre eigenen Interessen zu stärken und ihnen nach zu gehen. Auch bestand diese Kultur aus Geschichten, Ritualen, Gesängen und Spielen, die die Annahme hatt, dass Kinder Selbsterziehungsexperten sind, die selber Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. Wir dagegen nehmen heute an, dass Lernen ein passiver Vorgang ist, bei dem jemand von jemand anderem etwas beigebracht wird.

Wir verfolgen nicht explizit die Ansichten oder Lehren einer Person oder Ideologie, sondern sehen es als unsere Forschungsaufgabe indigenes Wissen verschiedener Orte zu studieren und zu integrieren. Dabei geht es nicht um kulturelle Aneignung, sondern darum Qualitäten zu erkennen und zu prüfen, ob diese auch in unserem Kulturkreis wertvoll sein können.

Die Kunst des Fährtenlesens

ganzheitliche Spurensuche

Eine ganz essentielle Kunst und Fertigkeit der Wildnispädagogik ist die Kunst Spuren in der Natur zu sehen und zu deuten. In unserer nicht so weit entfernten Vergangenheit war diese Fähigkeit überlebenswichtig. Und wie alles, was wirklich notwendig ist, werden wir darin gut. Wir waren als Jäger und Sammler Meister des Spurenlesens (Tracking). Ohne diese Kunst zu beherrschen, hätten wir die Tiere nicht gefunden, die wir jagen wollten oder mit einem Pfeil angeschossen hatten. Der sehr erfahrene Tracker Louis Liebenberg beschreibt wie eng Fährtenlesen und Wissenschaft verknüpft sind. Das Verfolgen einer Spur, also kleinster Nuance und Hinweise und das Aufstellen von Theorien über diese Spur anhand von Indizien waren für ihn die Anfänge der Wissenschaft. Auch beim Spurenlesen werden Thesen aufgestellt und verworfen und es ist ein permanentes Forschen.

Der Anfang ist natürlich die verschiedenen Spuren wahrzunehmen. Das können Abdrücke in der Erde sein, aber auch Fraßspuren, Liegeplätze oder Betten, abgeschälte Rinde an Bäumen, ein markanter Geruch in der Luft und natürlich alle Ausscheidungen eines Tieres. Wenn ich in der Lage bin aufmerksam durch den Wald zu gehen und diese Spuren zu sehen/riechen, dann stellen sich folgende fragen:

  • Wer? (Art, Gechlecht des Tieres, Alter, usw…)
  • Was ist hier passiert? (Die Geschichte sozusagen)
  • Wo/Wohin? (Von wo ist er oder sie gekommen und wo ist er/sie hingegangen?)
  • Wann? (Wann ist das ganze Geschehen)
  • Warum? (Die Frage der größeren Perspektive; Warum hier und nicht woanders z.B.)
  • Wie? (Welche Gangart und wie schnell?

Neugier und Mut sind hierbei entscheidender als richtige Antworten. Es gibt den Spurch unter Trackern „You´ll always right, if you track alone.“ (Wenn du alleine Spuren liest, hast du immer recht.) Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass die Fragen und das Forschen wichtiger sind als das richtig liegen. Aus unserer Schullaufbahn sind viele es gewohnt Antworten zu suchen und alles in richtig und falsch zu kategorisieren. Das ist beim Spurenlesen eher hinderlich.

Neben den Fragen gibt es ein sehr kraftvolles Handwerkszeug um ein Fährtenleser zu werden: Werde zum Tier! Wenn du eine Spur gefunden hast, bei der du die einzelnen Abdrück einordenen kannst, dann imitiere sie so, als wenn du auf allen Vieren hier lang gegangen wärst. Versuche genau so zu laufen und dich zu bewegen. Das stärkt deine intuitiven Fähigkeiten, Spuren zu verstehen.

Bald dann wirst du wie die Buschmänner in der Kalahari Spuren verfolgen, ohne sie wirklich anzuschauen und wenn nötig kannst du eine enorme Mengen von Wissen aus einer Spur herunterladen. Dafür brauchst du aber eine gute Verbindung.

Hier ein Artikel von mir auf dem WWF Blog.

Viel Spaß beim Spuren lesen.

Vogelsprache

Die Sprache des Waldes

Ein Teil der Sprache des Waldes ist die Kommunikation der Vögel. Ihre verschiedenen Rufe und Bewegungen oder das Verstummen ihres Gesanges passieren nicht zufällig, sondern dienen einem Zweck. Ihre Kommuikation funktioniert sowohl innerartlich als auch als Alarmsystem für viele Arten von Tieren. Viele Leuten ist bei ihren Waldbesuchen nicht bewusst, dass sie permanent Kommunikation erleben und dass sie in der Lage wären, diese Sprache zu verstehen. Als Jäger und Sammler war es früher natürlich ganz normal diese Sprache zu beherrschen, d.h. sie zu verstehen und vielleicht auch nutzen zu können. Durch das Imitieren der einzelnen Rufe ist natürlich auch eine aktive Kommuniakation möglich.

Der Beginn dieser Lernreise beginnt mit der Fähigkeit zuzuhören. Dieses aktive Zuhören braucht eine innere Ruhe und auch eine gewisse Geduld. Hierfür lohnt es sich, einen Sitzplatz zu finden und diesen so regelmäßig wie möglich zu besuchen. Ein Sitzplatz ist ein Ort in der Natur (Wald, Wiese oder Park), der sich stimmig anfühlt und die Möglichkeit gibt, die Natut zu erfahren. Das kann in einem Wald sein, aber auch ein Balkon oder eine Parkbank erfüllen diesen Zweck hervorragend. Wichtig ist es diesen Platz aufzusuchen, sich zu entspannen und dort mindestens 30 Minuten still zu sitzen und präsent zu sein. Oft kommen erst nach 15-20 Minuten die Tiere wieder, die wir durch unser Ankommen verschreckt haben.

So langsam eröffnen sich die verschiedenen Rufe der einzelnen Arten und nach einer weiteren Zeit des Beobachtens und Lauschens auch die einzelnen Rufe einer Art. Wie klingt ein Zaunkönig und wie die Kohlmeise? Am besten ist es mit 2 oder 3 ganz einfachen Gesängen verschiedener Vögel anzufangen, bis man in der Lage ist, diese auseinanderzuhalten. Nach einer Weile wist du durch den Wald gehen und während du vielleicht ein Gespräch führst, wirst du hören, welche Vögel in deiner Nähe sind.

Natürlich geht es noch weiter. Nach einiger Zeit wirst du Gesang, Bettelruf, Kontaktruf, Alarm, innerartliche Aggression der verschiedenen Vögel unterscheiden können und so nicht nur wissen, wer dort im Gebüsch etwas sagt, sondern auch was er oder sie erzählt. Damit beginnst du Dinge vorher zu wissen, bevor sie sichtbar sind. Das Herannahen eines Greifvogels zum Beispiel wirst du bald früher hören, als du es sehen kannst.

Eine weitere Nebenerscheinung, die nicht zu verachten ist, ist die Fähigkeit immer subtilere Geräusche wahrzunehmen. Natürlich hört diese Fähigkeit nicht im Wald auf, sondern du wirst generell ein besserer Zuhörer werden und auch Körpersprache und andere Dinge wahrnehmen und verstehen können.

Mein Interview mit Ralph Müller

Also los jetzt suche dir deinen Sitzplatz und höre zu.